Medikamente und Heimerziehung

Unter welchen Voraussetzungen sind Medikamentenerprobungen an Kindern legitim?

Wissenschaftler der Uni Bochum haben zu diesem Thema im Franz-Sales-Haus in Essen geforscht. Der massenhafte Einsatz von Psychopharmaka brachte in den 1950- er und 1960-er Jahren vielen Kindern großes Leid. Meine Aufgabe war es, das Ergebnis der Untersuchung zusammenzufassen.

Fast 300 Seiten dick ist die akademische Studie. Die Forscher haben nicht nur Akten ausgewertet, sondern auch ehemalige Heimkinder befragt. „Diese Tabletten, die haben mich so, ich weiß nicht, betäubt. Ich war nicht mehr ich selber. Ich kann es nicht erklären wie, aber der Kopf war zu.“ - „Und wenn du mit der Stationsschwester Streit hattest, hat die dir auch erst mal so’ne Esucos da verpasst. Am Unterricht konntest du gar nicht mehr teilnehmen. Das war gar nicht möglich. Du hast dann mehr geschlafen wie am Unterricht teilgenommen. Und das haben die richtig ausgenutzt da die Tablette.“ - „Dann gab es hier im Franz Sales Haus zwei Spritzen. Eine hieß Kotzspritze und eine hieß Betonspritze.“

Mindestens 58 Prozent der Kinder und Jugendlichen bekamen Neuroleptika, Antidepressiva oder Tranquilizer. Ungefähr jeder dritte Bewohner bekam zusätzlich noch ein starkes Beruhigungsmittel, ein Sedativum. Diese Medikamente dienten „vornehmlich zur Bestrafung und Disziplinierung der Kinder und Jugendlichen in einer Situation des Personalmangels.“

Eine zentrale Rolle spielte der Anstaltsarzt Dr. Waldemar Strehl von 1955 bis 1969. Er erprobte Medikamente, die noch nicht zugelassen waren und schreckte auch vor gezielter Überdosierung nicht zurück; die schrecklichen Folgen für die Kinder notierte er mit kalter Gelassenheit. -

Viele Jahre nach den Ereignissen stellte sich das Franz Sales Haus seiner Geschichte und beauftragte selbst die unabhängige Untersuchung durch die Uni Bochum. Man kann sich denken, dass niemand die Ergebnisse so sehr erwartete wie die betroffenen ehemaligen Heimkinder. Sie erhofften sich Aufklärung und Anerkennung. Mein Anspruch war es, eine wirklich leicht verständliche Zusammenfassung zu liefern: lesbar, übersichtlich, nachvollziehbar.

Meine Zusammenfassung wurde von der Pressestelle aktualisiert und dann vom Franz Sales Haus herausgebracht. Dort ist sie erhältlich.

Zeitgleich erschien die Studie selbst: Uwe Kaminsky / Katharina Klöcker: Medikamente und Heimerziehung am Beispiel des Franz Sales Hauses, Historische Klärungen – Ethische Perspektiven, Aschendorf Verlag Münster, 2020

Foto aus: Franz Sales Haus (Hrsg.): "125 Jahre MITMENSCHEN", Essen 2009